„Soziale Arbeit erwünscht“
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Pia Brey ist dafür ein gutes Beispiel. Der 34-Jährigen liegt es, zu organisieren und anzuschieben. So wie ihren Eltern. Diese sind in Chamerau keine Unbekannten, das Unternehmerehepaar Eva und Josef Brey führt eine Tankstelle und ein Ofenhaus. Die Firma besteht bereits seit 125 Jahren. Nun hat ihre Tochter ihr „eigenes Projekt“ realisiert: eine Wohngemeinschaft für Senioren an der Bahnhofstraße.
Vor und während der elfmonatigen Bauphase hat sie selbst die Gespräche mit dem Architekten und den Handwerkern geführt. „Das war alles irre anstrengend, weil ich es neben meiner therapeutischen Arbeit erledigen musste“, blickt Brey zurück, die sich in Chamerau parallel dazu auch noch eine Privatpraxis für Physiotherapie und Osteopathie aufgebaut hat.
Im Februar sind die ersten Senioren in die WG mit 900 Quadratmetern Wohn- und Nutzfläche eingezogen. Elf Einzel- und ein Doppelzimmer gibt es darin. Trotz des Stresses würde Brey das Projekt, wie sie sagt, jederzeit wieder angehen. Warum? „Weil Pflege auch liebevoll sein kann.“
„Sowas hatte ich noch nie erlebt“
Wenn in Heimen 80 bis 100 Personen leben, können die Bedürfnisse des Einzelnen schnell untergehen. Dann sei Pflege aufgrund des Zeitdrucks und der Dokumentationspflicht oft weniger fürsorglich, meint Brey. Wie belastend diese Situation für das Personal sein kann, habe sie bei Besuchen in den Einrichtungen gesehen: „Als Physiotherapeutin bekam ich mit, dass Pflegekräfte häufig mit Burnout kämpfen.“
Als sie durch einen früheren Arbeitgeber in eine Senioren-WG in der Region kommt, wird sie stark überrascht. Pia Brey spricht von einer Sternstunde: „Sowas hatte ich noch nie erlebt. Das Konzept, dass maximal zwölf Personen betreut werden, kannte ich bis dahin nicht.“ Die Pfleger strahlten Freundlichkeit und Gelassenheit aus, schildert die junge Unternehmerin. Die Grundstimmung sei ganz anders gewesen. Sie spricht von einer Win-win-Situation für Mieter und Beschäftigte.
Dieser positive Eindruck hat Brey geprägt. Auf einem ehemaligen Holzlagerplatz in Chamerau beschließt sie, auch eine Senioren-WG zu gründen. Einen Ort, an dem sich das System nach dem Einzelnen richte, nicht anders herum. Sie ist überzeugt: „Dieses kleine Konzept mit zwölf Mietern macht eine Umkehr möglich. Hier in Chamerau ist soziale Arbeit erwünscht.“
Zwölf Senioren können maximal einziehen, das sei vom Gesetzgeber her so definiert. Im Durchschnitt haben diese Pflegegrad drei, erklärt Brey. Auch habe sich ein Ehepaar mit den Pflegegraden eins und vier gemeldet, diese Kombination sei genauso denkbar.
Die Mieter sollen sich nicht überflüssig fühlen
„Wir befinden uns in der Bahnhofstraße zwar nicht am Stachus, aber die Lage ist trotzdem sehr zentral“, berichtet Brey. Ein Standortvorteil sei unter anderem der Radweg, der an der WG vorbeiführt. Die Leute möchten etwas zum Schauen, sagt sie, dass sich etwas rührt. Ausflüge in der näheren Umgebung, unter anderem zum „Bäckerwirt“, seien geplant. Ihr nächstes Ziel: eine Kooperation mit dem Bauernhofkindergarten.
Doch Pia Brey weiß: Ihre Mieter wollen nicht nur Beschäftigungsangebote „von oben“ bekommen, sondern nach wie vor selbstbestimmt aktiv sein. So wie früher. „Sie dürfen sich nicht überflüssig fühlen“, meint sie: „Das, was die Senioren noch können, wollen wir fördern.“ Aus diesem Grund stehe einem Einzug in die WG samt Waschmaschine nichts im Wege. Und sich selbst mal in der WG-Küche einen Pudding kochen? Kein Problem, meint Brey.
Eltern stärkten ihr den Rücken
Während der Pflegedienst „Arberland“ die Betreuung der Senioren im Dreischichtbetrieb – also rund um die Uhr – übernimmt, ist Pia Brey immer dann vor Ort, wenn potenzielle Mieter und deren Angehörige die Räume besichtigen wollen. „Ich bin die, die immer mal durchflitzt“, sagt sie.
Ab dem Zeitpunkt des Baustarts, der im April 2023 erfolgte, sei sie so gut wie jeden Tag vor Ort gewesen, manchmal mehrmals. „Ich habe das Projekt als total positive Lebenserfahrung verbucht“, zieht sie Bilanz. Sie spricht von einem Riesenglück, die richtigen Handwerker gehabt zu haben – auch ihre Eltern standen ihr mit Rat und Tat zur Seite: „Ich bin dankbar, dass sie ihre Erfahrungen in Sachen Bau mit mir teilten. Zu wissen, dass sie mir ein solches Projekt zutrauen, hat mir oft den Rücken gestärkt. Gegenwind gibt’s im Laufe des Prozesses oft genug.“
Wenn sie nun Lob bekommt, beispielsweise von Bürgermeister Stefan Baumgartner, der die WG als Zugewinn für die Kommune bezeichnet, gehe das „runter wie Butter“, sagt sie schmunzelnd: „Das freut mich riesig. Da bin ich schon ein bisschen stolz auf mich.“